Trümmer (Teil 2)
Yri'lian schließt die Augen hebt das Antlitz in das Licht der Sonnen. Sie würden bald untergehen. Wer weiß, vielleicht war dies hier die letzte Gelegenheit, ihre grelle Berührung auf der Haut zu spüren. Alles geht vorbei. Ein Pfad endet, ein neuer beginnt. Man musste nur danach suchen. Aber wo?
Sie seufzt. Die Zeit würde es zeigen.
Die Hitze des Jundlandes hatte ihre Tränen fast ebenso schnell getrocknet, wie diese geflossen waren. Zurück bleibt ein brennendes, sandiges Gefühl in den Augen, in der Nase, in der Kehle. Geschwollen. Wund. Daran erinnernd, das dies für eine ganze Weile eine schmerzhafte Lektion bleiben wird. Akzeptanz hin oder her. Wachstum oder Schwäche hin oder her. Ein Verlust von Etwas. Ein Gewinn von etwas Anderem. Doch vor allem ein Schmerz jenseits der Körperlichkeit.
„Gut“, flüstert sie. Der Schmerz würde dafür sorgen, dass die Bedeutung dessen, was geschehen war, nicht in ihr verblasste. Nicht verschlossen oder fort geschoben wird. Sie würde sich ihm stellen, damit arbeiten, daran wachsen müssen, um nicht zu zerbrechen.
Yri'lian wendet sich ab und öffnet die Augen wieder. Sie blinzelt gegen die Schatten und Doppelbilder, welche die Sonnen auf ihre Netzhaut gebrannt und welche die dünne Haut ihrer Lider nicht völlig abzuschirmen vermocht hatte.
Dann geht sie voran. Ein paar wenige Dinge von Bedeutung gibt es noch zu tun, bevor sie Tatooine endgültig den Rücken zudrehen konnte.
Ihr erster Weg führt sie in den Soldatenhof. Die Türen der Quartiere stehen weit offen. Bereits jetzt arbeitet sich der Staub in die Räume. Es ist nun still. Echos von Aktivität sind verklungen, die Gefühle derer, die hier lebten, ins Leere zerfasert. Nicht einmal das Echo des Todes hallt noch leise nach. Hier ist der Abschied bereits vollzogen worden. Fast zumindest.
Yri'lian selbst treibt ein Gedanke, ein egoistisches kleines Bedürfnis hierher, das Gesicht desjenigen, der sie fast getötet hatte, wenigstens einmal zu betrachten. Ihn einmal zu berühren.
Dumm? Kindisch vielleicht. Ein Impuls, dem sie nachgibt, weil dieser vielleicht Erkenntnis zu bringen vermochte.
Sie dreht den Kopf suchend, bis ihr Blick schließlich an der golden glänzenden Rüstung in der Ecke des Hofes hängen bleibt. Halb vergraben unter Sand und Trümmern liegt er da, der Zakuulritter, der seine Lichtlanze nach ihrem Herzen gestoßen hatte. Sie erinnert sich noch an den Kampf, daran, das sie auf dem Rücken lag, an ein schweres Metallregal, das ihren Unterarm gefangen hielt.
An ihr zerbrochenes Handgelenk und ihre hastige, kleine Ausweichbewegung, welche die Klinge nicht daran zu hindern vermochte, ihren Leib zu durchbohren. Nicht das Herz, aber die Lunge. Sengendes Fleisch und sengende Agonie. Blut im Mund, zerrissenes Gewebe und ein brechender Blick, ein brechendes Bewusstsein.
Sie hatte im Sterben gelegen. Ein Teil ihres Geistes, jener, der nicht mit Wut und Panik beschäftigt war, betrachtete die Reaktion ihres Leibes auf das herannahende Ende wie ein faszinierendes Kuriosum.
Adrenalin wie Elektrizität im gesamten Körper. Das wilde Schlagen ihres Herzens, welches fatal das violette Blut in ihre Lungen pumpte, um den Schaden zu reparieren, das spastische Zucken ihrer zusammenfallenden Lungenflügel, hochhusten von eben diesem Blut, das Ringen nach Sauerstoff, das Eintreten des Schockzustandes... und ihr Hirn, welches begann, stetig ein um das andere System abzuschalten. Unaufhaltsam. Berauschend. Ein glorioser Kampf in sich selbst, um Vorherrschaft in ihrem eigenen Körper.
Sie weiß, das Lord Corvidae den Zakuulritter getötet hatte, bevor dieser ein zweites Mal zustechen und ihrem Kampf ein jähes Ende setzen konnte. Darüber hinaus erinnert sie sich nicht mehr an viel. Zu sehr hielt sie ihr Körper in seinem Bann, zu sehr der Kraftakt ihres Geistes.
Sie musste ihre inneren Funken darin lenken, die Funktionen ihres Leibes aufrecht zu halten. Jeden rasselnden Atemzug erzwingen, jedes Quäntchen Sauerstoff nutzen, welches noch in ihre zerstörten Lungen drang. Jeden Schlag ihres Herzens einzeln befehlen. Innere Blutung stoppen. Spasmus mildern. Dem Lord auf seine Fragen antworten - Was, eigentlich? Ich erinnere mich nicht. - sogar ihre Beine dazu bringen, eine kurze Strecke lang einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Sie kniet nun vor der Leiche des Zakuulritters ab. Mit etwas Mühe zieht sie ihm den wuchtigen Helm vom Kopf, um die Ruine seines Antlitzes zu betrachten. Tatooine gönnt den Lebenden nicht viel Zeit mit den Toten. Der Verwesungsprozess ist bereits weit fortgeschritten und Yri'lian wedelt irritiert eine Wolke von Insekten beiseite, welche, gestört in ihrer Mahlzeit, aufsteigen. Leere, schrumplige Augäpfel. Zernagte Wangen und verdorrte Lippen, die sich im Tode von den Zähnen zurück gezogen haben, dem Rest seines Mundes den Ausdruck eines stummen Schreis verleihend.
Sie klickt bedauernd mit der Zunge und legt die Handfläche auf die fleckige Stirn. Hautfetzen bröseln unter ihren Fingerspitzen und rieseln in den Sand. Schädelknochen wird sichtbar. Er ist bereits lange fort. Seine Funken erloschen, sein Echo ebenso. Von ihm würde sie nichts mehr erfahren können.
Und dennoch... „Danke“, sagt sie ihm leise. „Für diese Lektion. Für diese Erfahrung. Dafür, dass du die Grenzen meines Leibes und meiner Macht über ihn neu definiert hast.“
Sie lächelt den Toten an. Ohne Groll. Ohne Bindung. Ihn konnte sie nicht mehr berühren, aber dennoch von ihm lernen.
Sie nimmt die Finger von der leeren Hülle und richtet sich wieder auf. Ein letzter Blick auf ihren Lehrmeister und sie wendet sich ab.
Für einen kurzen Moment überlegt sie, ob Vhal'dra vielleicht noch etwas von Wert erfahren könnte, bevor sie diese Idee ebenso schnell verwirft, wie sie gekommen ist. Vhal'dra hatte für heute bereits genug erfahren. Hatte im Kampf um Varath schon genug erfahren.
Sie war es gewesen, die Yri'lian das Leben gerettet hatte. Unbewusst vielleicht, mehr von Unsicherheit und dem Drang, etwas zu bewirken getrieben, als von dem Bewusstsein über Konsequenzen, aber dennoch lebensrettend. Auch daran erinnert Yri'lian sich kaum, nur in Form von Schatten, Eindrücken, Emotionen, Träumen. Man hatte ihr allerdings erzählt, was geschehen war, nachdem man sie aus dem Koltotank auf der OBYRRU entlassen hatte.
Die Tolian hatte sie berührt, als Yri'lian am Scheidepunkt ihres Kampfes angelangte. Als ihr vage, durch Schmerz und Schock, klar wurde, dass sie im Begriff war, diese Schlacht zu verlieren.
Ihr Körper vermochte nicht genug Energie aufzubringen, um die großen Schäden einzudämmen, um seine Funktion aufrecht zu erhalten. Sie starb. Und sie hungerte. Sie wallte vor Zorn und Gier nach Leben, nach Macht und griff blind hinaus, um beides zu bekommen. Vhal'dra gab es ihr. Vhal'dra berührte sie. Und Yri'lian nahm. Alles, was sie kriegen konnte, bevor der Lord die junge Sith von ihr wegriss. Ihr Körper tobte nach mehr... und dennoch war es genug. Um für den Moment am Leben zu bleiben. Um ihr Herz am Schlagen und ihre zerissene Lunge am Atmen zu halten, bis die Flucht vollendet und sie in der Hand von Medizinern war.
Wieder muss Yri'lian lächeln und ihre Finger berühren ihre linke Brust, wo nun für immer die Erinnerung an diese Ereignisse gezeichnet bleiben wird.
Noch eine Narbe, die ich behalten werde. Und nun habe ich auch dich berührt, Vhal'dra. Habe von dir genommen. Und habe dir gegeben. Weißt du es schon? Das Ausmaß? Das Band, das wir nun teilen? Die Ketten, die wir umeinander geschlungen haben, bewusst oder unbewusst? Absicht oder nicht ist einerlei. Was ist, das ist. Konsequenz und Preis.
Sie hatte sich heute bei ihr bedankt. Für ihr Leben. Für ihr Opfer. Vielleicht auch für ihr Schweigen. Vhal'dra war auch diejenige, die sie hatte weinen sehen. War diejenige, die Yri'lian in ihrem Mitleid als erste und einzige erlebt hatte. Yri'lian atmet einmal durch und zuckt irritiert mit den Lekku. Vhal'dra war sehr viel anders als sie. Introvertierter. Eine stille Entschlossenheit, ein Raubtier, das noch immer lernte, ein Raubtier zu sein. Kein Werkzeug mehr, wenn sie es nicht sein wollte. Aber Konditionierung ist schwer abzulegen. Sie war gerade erst dabei, diese starre Hülle zu zerbrechen und ihre neuen Klauen zu testen.
Auch dies war ein Grund, warum Yri'lian bereit war, Vhal'dra zu vergeben, sie weinen gesehen zu haben. Sie wollte, das dieser Vogel fliegen lernte. Das diese Seele strahlen konnte. Und, wenn es dazu kommen sollte, ihren eigenen Untergang bestimmte und diesen nicht von einem selbsternannten Herren über ihr Leben auferlegt bekam.
„Spring...“, murmelt sie. „Aber spring, weil du es so willst.“
Yri'lian geht nun in Richtung der Sithquartiere. Dies verbleibt ihr noch zu tun, vor dem Abschied. Vor dem neuen Pfad, der gesucht und gefunden werden musste. Nicht alle waren hier gewesen, als die Zakuul über Varath hereinbrachen. Nicht alle waren geblieben.
Sie hinterlässt jedem von ihnen einen Hinweis. Nur das Wort „Obyrru“, mit der Daumenklaue in den trockenen Mörtel ihrer Quartierswände gekratzt. Gut sichtbar und eine Botschaft übermittelnd.
Wir sind noch da. Wir sind am Leben. Findet uns, so ihr wollt.
Moebius. Lyastara. Sinya'tualin. Sogar Airadan, obwohl dieser der Darth gehört. Sie hat ihn lange nicht mehr gesehen.
Zuletzt steht sie im Quartier von Lunox. Auch hier ritzt sie „Obyrru“ in die Wand. Dann verharrt sie. Hier fällt es besonders schwer, sich zu lösen.
„Wo bist du, Wermo?“ flüstert sie in die Stille des Raumes. „Ist es wieder an der Zeit, die Niederlage allein zu ertragen? Wieder an der Zeit, allein mit dir und deinem Zorn zu leben? Verbissen deinen Körper zu treiben, bis eine weitere Grenze in dir bricht?“
Yri'lian weiß, dass der Lord und sie, ebenso wie Vhal'dra, ihm hätten Hilfe dabei stellen können. Sie weiß ebenso, dass der stolze, närrische Krieger in ihm dies niemals zulassen würde.
Lunox würde zu ihnen zurückkehren, wenn er bereit war. Wenn der Aufschrei seines Egos verklungen und die Bitterkeit seines Verlustes mit neuer Entschlossenheit überdeckt war. Wenn er lange genug getrieben und besessen die vermeintlich persönliche Schwäche mit einer neuen Stärke kompensiert hatte, die er dann stolz seinem Lord offenbaren konnte.
Yri'lian schmunzelt traurig. Vor der wichtigsten Lektion war er erneut geflohen. Der Konsequenz.
All die herrliche Wut umsonst. Doch ihr Weg ist nicht der seine. Kann es nicht sein. Soll es auch nicht. Sein Wachstum liegt allein in seinen Händen. Und sie weiß, dass dies eine Trennung auf Zeit ist.
Nach einem Augenblick des Grübelns kratzt sie ein weiteres Wort in den Mörtel. Nur er würde es verstehen.
Mor'lian
Der Name ihres Vaters. Und der Kontakt, den er suchen konnte, wenn er bereit war, seinen Pfad wieder mit dem ihren zu verwinden.
Nun, endlich, dreht sie Tatooine den Rücken zu.